Mann ärgere dich nicht
Der Kampf gegen das Patriarchat hat einige Hürden zu nehmen. Doch zu oft streiten sich Feminist*innen lieber über Detailfragen, anstatt sich gegenseitig zu stützen.
Jana Avanzini — 08/23/21, 09:38 AM
Ein gemeinsames Ziel heisst leider nicht immer, dass man gemeinsam kämpft. (Illustration: Line Rime)
Was wir alle wissen: Feministinnen nerven! (Männer* sind übrigens mitgemeint) Wir nerven uns ja selbst, so oft wie wir uns wiederholen. Es ist nicht lustig, immer wieder dieselben Dinge anzuprangern. Aber es ist halt eben nötig. Doch jetzt nerven wir uns auch noch gegenseitig.
Geht es um Vorkämpfer*innen in der Geschichte des Feminismus, ist meist von Dankbarkeit und Bewunderung die Rede. Für die, die das Stimmrecht erstritten und dafür geächtet wurden, ausgelacht, die ins Gefängnis gingen, in den Hungerstreik, die von mir aus Briefkästen in die Luft jagten. Doch neben Bewunderung und Dankbarkeit gesellt bei mir in den vergangenen Monaten immer häufiger ein nicht so hübsches Gefühl dazu – der Neid. Neid auf die historischen Errungenschaften einerseits, Neid aber auch darauf, in einem Satz sagen zu können, wofür man kämpft.
Wie schön das wäre. Um den einen Artikel in der Verfassung zu kämpfen! Davon ist die Frauenbewegung heute weit entfernt. Denn es sind hunderte Baustellen in der Gesellschaft, der Politik und der Wirtschaft, die beackert werden müssen. Die starren Rollenbilder, der Sexismus, die häusliche, die sexualisierte Gewalt. Wir wollen Lohngleichheit, wir wollen Elternzeit und faire Renten. Wir wollen aber auch den Genderstern, nicht mehr Frau schreiben, Frau schreiben, FLINT schreiben, FINTA schreiben, Mensch schreiben. Wir wollen Männer dabeihaben und keine Männer dabeihaben. Wir verlieren uns in stundenlangen Meta-Diskussionen. Und wir gehen uns dabei massiv auf die Eier:stöcke.
Die Revolution frisst ihre Kinder. Spaltungen von Bewegungen in Teilbewegungen sind immer auch ein Zeichen dafür, dass eine Bewegung sich selbst reflektiert und entwickelt. Und auch, dass man eine bestimmte Breite gewonnen hat. Es bedeutet, dass es leicht geworden ist, sich Feminist*in zu nennen in dieser nächsten Welle der Bewegung. Was ja eigentlich toll ist!
Doch auch wenn meine Blase voll ist (hehe) mit Feminist*innen. Die Mehrheit der Gesellschaft bekommt von diesen Diskussionen nicht so viel mit. Der feministische Diskurs war schon immer ein elitärer. Und viele, die die Ungleichheit wirklich und massiv in ihrem Alltag betrifft, haben nicht die Energie, nicht die Zeit, stundenlang darüber zu diskutieren, wie man denn nun diskutieren soll.
Wir werden nie die Speerspitze der feministischen Revolution sein. Also beruhigen wir unser Ego mal kurz.
Radikale Mitstreitende sind wichtig. Inklusion ist wichtig. Man sollte aber Menschen nicht nur einbeziehen, sondern auch so sprechen, dass es alle verstehen und nachvollziehen können. Feminismus, auch Antirassismus, sind dafür da, dass es den Menschen besser geht. Und nicht, damit ich mich als Rebellin und Aktivistin profilieren kann. Wir werden in der Zentralschweiz nie die Speerspitze der feministischen Revolution sein. Also beruhigen wir unser Ego mal kurz. Der Kampf um Gleichstellung war lange vor uns da und wird leider noch lange nach uns weitergehen.
Wir machen Bodenarbeit. Langsam, stetig, oft langweilig. Und leider hören die Leute nicht so gerne zu, wenn wir ihnen ständig nur den Mittelfinger ins Gesicht strecken. (Auch wenn es manchmal mehr als nötig ist.)
Ich will mich mit den «Den Frauen geht’s doch gut»-«Was wollt ihr überhaupt»-Vertreter*innen streiten. Und nicht ständig nur noch mit denen, die dasselbe wollen wie ich, es bloss anders nennen. Die einen wollen Perlen in einer Kette sein, die anderen wollen die Faust erheben. Fressen wir uns nicht gegenseitig auf, sondern stützen wir uns. Denn wie Roxane Gay so schön sagt: «I would rather be a bad feminist than no feminist at all.»
Jana Avanzini wurde schon auf dem Schulhausplatz mit dem Spitznamen «Avanze» bedacht. Sie ist Co-Redaktionsleiterin bei Kultz, doch in dieser Kolumne lässt sie sich über die alltäglichen K(r)ämpfe einer Feministin aus. Einer Feministin in der Zentralschweiz, wo man(n) sich noch gerne über aufmüpfige Frauen und Genderwahnsinn ärgert.