Bildbetrachtung
Unser Kolumnist fabuliert für sein Leben gern. Diese Woche wird dabei hinter dem Theater geraucht, getratscht und dabei erkannt: Manchmal hat Mutter eben doch recht.
Christov Rolla — 04/16/21, 04:27 AM
Oh, hast du mir auch eine?
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Ja nee, aufgehört habe ich eigentlich nie. Ich habe ja auch gar nie richtig angefangen.
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(eine Zigi aus dem hingehaltenen Päckchen zupfend) Merci.
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(sich Feuer geben lassend, einen tiefen Zug nehmend) Ah, das ist halt schon etwas Gutes. Aber stimmt, jetzt wo du’s sagst! Bei «Utopie Näpflin» war das, da habe ich gesagt, dass ich aufhören will. Damals haben wir aber auch fast zwei Päckchen pro Tag durchgelassen, meine Liebe, weisst du noch. (einen zweiten Zug nehmend, ein Hüsteln unterdrückend) Aber so, wie’s jetzt ist, finde ich es eigentlich ganz gut. Eine Zigarette nach der Hauptprobe, vielleicht zwei nach der Premiere, und dann wieder easy suchtfrei für zwei, drei Monate: Das finde ich gehenswert.
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Ich bin manchmal selber erstaunt, dass mir das so leichtfällt. Nora sagt auch immer: Donna, dass du das kannst, das flasht mich, sagt sie. (lächelnd und langsam den Kopf schüttelnd) Utopie Näpflin ... Dass wir DAS überlebt haben. (erste Asche abklopfend) Wie lange ist das her? Fünf Jahre? Acht Jahre? Das flutscht im Rückblick ja alles so zusammen und gleichzeitig unendlich auseinander.
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(in schwierigen Erinnerungen schwelgend) Weisst du noch, wie Lea und Anja damals fast ausgestiegen wären, weil sie den Untertitel so unsäglich fanden? Mir selber wäre das doch eigentlich völlig pillepalle gewesen, und wenn die beiden nicht so ein Gewese darum gemacht hätten, dann wäre ich sicher gar nicht erst in die Diskussion eingestiegen. Ich halte den Kollektiv-Gedanken ja sehr, sehr hoch. Aber wenn als Reaktion so ein kindischer Trotz kommt, da muss man ja auch mal sagen, dass ich manche Dinge halt auch einfach besser weiss, sorry. (einen wütenden Zug nehmend, sich aber schnell beruhigend) Wie ging der Untertitel nochmal? «Muckefuck muss knallen»?
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Stimmt, «Utopie Näpflin: Mägerli-Muck muss pumpen». So war’s. (nur einen ganz kleinen Zug nehmend, um gleich weiterreden zu können) Also, ich finde das noch immer einen famosen Titel. Gross! Eigentlich fast besser als das Stück, unter uns gesagt. Wobei «unter uns gesagt» nicht ganz stimmt, das war ja die gängige Meinung. Die Kritik, unsere Peers und meine Mutter haben das ja alle ebenfalls gesagt: Leider missratenes Stück, aber grossartiger Titel. (Päuschen, die Zigarette anschauend) Wobei das ja auch schon wieder eine Ansage ist. Schlechtes Stück, toller Titel, hereinspaziert, Donna Kurz inszeniert wieder! (gespielt eitles und darum erst recht eitles Kichern)
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(das Thema wechselnd) Sag mal, wie fandest du eigentlich Serge heute? Ich habe ihm ja vor dem Durchlauf gesagt, er solle es heute mal mit dem Standbein statt mit dem Schwingbein probieren, aber du weisst ja, vor Durchläufen lässt er sich nicht gern was sagen, und beim Durchlauf selber war ich mit dem Fokus dann leider voll bei Eidemar. Hast du auf Serge geachtet?
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(voll aufmerksam zuhörend) Mhm.
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(voll aufmerksam zuhörend) Mhm.
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(langsam wieder selber etwas sagen wollend) Mhm. Mhm. Mhm.
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Ja eh voll krass stimmt absolut ehrlich gesagt bin ich ein bisschen mit meinem Latein am Ende. Ich mein’, klar, Serge ist kein Eidemar. Nur Eidemar ist Eidemar. Serge hat andere Qualitäten. Nur würde ich die verdammt noch mal gerne endlich einmal sehen, verstehst du, SEHEN würde ich seine Qualitäten gerne mal zur Abwechslung. – Hast du mir noch eine?
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(noch eine erhaltend und sie an der vorherigen anzündend) Ich mein’, ich LIEBE Serge. (engagiert Rauch ausstossend) Das ist WIRKLICH ein dicker lieber alter Freund und so ein Guter. Und ich hätte ihm den «Monolog am Trapez» echt gerne gegeben. Er mit seiner Gebirgssockeligkeit, das hätte so eine schöne Gegenläufigkeit zum Text von der Spaltenberger gegeben, nicht? Aber Scheisse, kann ich was dafür, wenn Eidemar den Monolog halt so viel dringlicher auf den Punkt bringt? Ich respektiere Serges Willen und Wollen, gegen seine Widerstände anzuspielen, die Widerstände zu benutzen – aber was bringt das, wenn er nun mal selber ein einziger wandelnder Widerstand ist? Klar, das hätte ich ihm vielleicht nicht so direkt sagen sollen, ist mir rausgerutscht, aber wozu um den heissen Brei herumreden? Hat ja niemand was davon am Ende des Tages. Und jetzt ist Serge natürlich gekränkt. Kannst du mal mit ihm reden? Du bist ihm näher als ich. (einen halben Zug nehmend, dann aus dem Nichts heraus) SPIELBEIN! – Gell, ich Trotteline habe vorhin Schwingbein gesagt? Spielbein habe ich gemeint! – Jedenfalls, die Nachbesprechung wird heute sicher nicht kürzer als gestern. So leid es mir tut. Kannst du Vera vorwarnen? Sie kann bei mir pennen.
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(versonnen dem Rauch nachblickend; plötzlich die Umgebung gewahrend) Du sag mal. Warum hat es da oben eigentlich ein Netz über den Geräten?
# Christov Rolla ist eigentlich Musiker. Für diese Kolumne aber versetzt er sich in Menschen und an Orte. Manche bezeichnen dies als Rollenprosa, andere als redselige, ausschweifende und komplett herbeifabulierte Selbstgespräche. Wir nennen es: Bildbetrachtung. Mit freundlicher Unterstützung der Kulturförderung des Kantons Luzern.