Landei versus Stadthuhn
Autofahren ist seit Corona für passionierte Bahnfahrende salonfähig geworden. Eine Abwanderung des Publikums blüht auch dem Radio.
Christine Weber — 09/09/20, 12:52 PM
Auf dem Land fährt man Auto. Auf dem Land fahren alle Auto, auch Ökos und Alternative. Wer auf dem Land nicht Auto fährt, musste entweder den Führerschein abgeben oder hat eine Sozialphobie: Ohne Auto kommt man nirgends hin und braucht für einen Abstecher in die Stadt den ganzen Tag. Hier jedenfalls gibt es nicht einmal einen Ortsbus, mit dem der abgelegene Bahnhof erreicht werden kann. Darum habe ich ein Auto gekauft. Und ja: Es ist bequem. Und nein: Ich habe kein schlechtes Gewissen. Die letzten Bedenken weggefegt hat Corona. Plötzlich galt der öffentliche Verkehr als Virenschleuder, Autofahren wurde salonfähig. Vermutlich bleibt das so, denn viele Pendlerinnen und Pendler sind auf den Geschmack gekommen und die moralische Hürde gegenüber den Benzinfressern ist entsprechend gefallen. Das ist aus mehreren Gründen nachvollziehbar.
Die Bahn war einmal das beste Fortbewegungsmittel. Aber jetzt? Tempi passati! In den letzten Jahren wurde alles abgeschafft, was eine Reise mit dem Zug attraktiv macht. Zuerst verschwanden die Bahnhofbuffets, in denen die Wartezeit auf den Anschluss so schnell vergangen ist, dass er sogar verpasst wurde. Blieben die stilvollen Speisewagen mit gedeckten Tischchen, um mit einer Reisegefährtin ein Scrabble zu machen oder zu plaudern. Was braucht es mehr? Eine Flasche Wein! Auch die wurde serviert. Der Speisewagen wurde vom Rollwägelchen abgelöst, das immerhin noch von einem waschechten Menschen durch die Abteile geschoben wurde – was im Vergleich zum Selecta-Automaten, der heute am Perron herumsteht, geradezu romantisch ist. Irgendwann dazwischen wurden die Raucherabteile gebodigt. Auf die Gefahr hin, dass diesem Onlinemagazin die Sympathien entzogen oder ich selbst erschossen werde: Lange Bahnfahrten ohne Qualmen ist traurig. Wir Raucherinnen wären mit einem winzigen Abteil und Holzbänken zufrieden gewesen … aber eben. Bleibt der letzte Kick einer Zugfahrt: Flirten. Unbekannte sitzen sich gegenüber, haben Musse und kommen vielleicht sogar ins Gespräch. Seit alle ein Smartphone herumschleppen und auf ihr Gerät starren, sitzen im Zug jedoch weder Prinzessinnen noch Frösche, sondern stumme Fische und blinde Hühner. Ergo spielt es auch keine Rolle, dass jetzt noch Masken getragen werden – ausser, dass der Schluck aus der Colaflasche mühsam ist, aber die wird ja eh nicht mehr serviert.
Seit ich also ohne schlechtes Gewissen mit dem Auto vom Land in die Stadt fahre, nerve ich mich nebst ein paar Bagatellen einzig über die endlosen Staumeldungen aus der ganzen Schweiz von Radio SRF. Heruntergerattert im Halbstundentakt von Moderatorinnen und Moderatoren, deren Job eigentlich die Vermittlung journalistischer Inhalte wäre und nicht die Verbreitung eines solchen Schwachsinns. Egal ob bereits in der Autokolonne festeckend oder daheim im Bett fernab von (motorisiertem) Verkehr: Kein Mensch interessiert sich für Staumeldungen! Mit dem Schweizer Radio SRF verhält es sich offensichtlich gleich wie mit den Schweizerischen Bundesbahnen SBB: Radiohören macht immer weniger Spass. Darum liegt es nahe, auch hier auf ein attraktiveres Endgerät mit Internetanschluss umzusteigen – egal, ob ein sibirischer Lokalsender oder ein Audiokanal aus Südsumatra: Spannender als Staumeldungen ist das alleweil.
Meine Freundin aus Luzern sagt dazu: Wir in der Stadt brauchen weder ein Auto noch Staumeldungen und auf die SUVs von euch Landeiern können wir erst recht verzichten.
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