Projekt Nachtleben
Unser Autor Anton Kuzema reflektiert seine exzessive Clubvergangenheit und schreibt dabei über Sex in Clubs, feuerspeiende Drachen und Stefanie Giesinger.
Anton Kuzema — 01/10/23, 02:23 PM
Bloss Schall und Rauch? Ein Rückblick auf eine Ausgangskarriere.
In Antons Clubkarriere passten rund 2634 Drinks.
Du warst in den letzten 10 Jahren 624-mal in einem Club. Du hast insgesamt 411 Stunden angestanden. Du hast umgerechnet 20’728 Franken ausgegeben. Du hast insgesamt 2634 Drinks getrunken. Du hast 0 langfristige Freund*innenschaften geschlossen. Du warst 2413 mal pissen. Du hattest 2-mal Sex. Du warst 2-mal in körperliche Auseinandersetzungen verwickelt. Du hast 0-mal erbrochen.
Nahe am Wasser gebaut: Kater Blau in Berlin.
Ich klettere mit zwei weiteren Freunden in einen Club. Vor dem Club legt ein Boot an. Daneben ist eine Baustelle. Einer meiner Freunde fällt ins Wasser. Er tanzt 5 Stunden lang mit einer triefenden Hose.
Keine Kleider, kein Problem: In Sex-Positiv-Clubs gibt es nichts zu verbergen.
Als ich 18 Jahre alt war, kam ich das erste Mal mit halb-öffentlicher Sexualität in Kontakt. In Sex-Positiv-Clubs wird eine Kultur zelebriert, in der Nacktsein und sexuelle Aktivitäten innerhalb des Clubs gestattet sind. Im Vordergrund steht aber dennoch die Musik und das Tanzen. An diesem Abend sind ausnahmslos alle Barkeeper*innen nackt. Auch viele der Gäste sind nackt, halbnackt und tragen netzartige Kleidung, Lederfetzen und industrielle Ketten um ihre Körper. Ohne gleich von einer sexuellen Befreiung zu sprechen, denn sexistische Momente gibt es auch hier, haben mich solche Clubs für eine offene Körperkultur begeistert.
Mein Favorit war ein Mann Mitte 40, der nichts ausser einer ledernen Batman- Maske getragen hat.
Körper in den verschiedensten Formen, eng an einander tanzend, zwischen Lack, Leder, Nebel und Schweiss sind beeindruckend schön. Unverfrorener Sex auf der Couch im Raucher*innenraum erschien mir hemmungslos selbstbewusst. Mein Favorit war ein Mann Mitte 40, der nichts ausser einer ledernen Batman- Maske getragen hat.
Nzzzz dum kz: Techno.
nzzzz nzzzz nnzzzzz nzzzz nzzzzz dum dum dum dum bam bam bam nzzzzzz nzzzz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz wuuuuuuuuuuu kz kz kz kz kz kz kz kz kz kz kz kz kz tmm tmm tmm tmm tmm tmm tmm tmm tmm tmm.
In der Welt der Schmerzen zuhause: Brigade Brut. (Foto: Sam Aebi/Neubad)
Wer am letzten Samstag auf der Neujahrsparty im Neubad war, konnte miterleben, wie die Geschichte der Titanic von Brigade Brut im Wrestling-Stil erzählt wurde. Der Poolbereich wurde zum Schiff, welches auf einen Eisberg zusteuert, bis eine tobende Masse lustentbrannt applaudiert, weil Rose mit ein paar geschickten Handgriffen Jack auf den Deckboden knallt und ausknockt. Grandios! Rhythmische Pausen liefern singende Drag-Queens und rappende Wrestler*innen.
Der Club kann etwas Mystisches erzeugen.
Immer wieder wurden Nachtclubs und Kulturhäuser zu einem Spielplatz für mich. In meinem früheren Lieblingsclub stehen 5 Telefone. Wird eines abgehoben, klingeln alle anderen. Zwar sind die Gespräch, die dadurch zustande kommen zu 90 Prozent Pizzabestellungen, doch die Simplizität mit derer etwas das jede*r in der Hosentasche trägt zu einem Spielgerät wird, zeigt das Potenzial auf, das der Raum Club bereithält. Er weckt in den Schlummer versetzte Kinder. Und er kann sogar etwas Mystisches erzeugen.
Das eine Telefon an der Strand- Bar hat eine altmodische Drehscheibe. Einer der Codes ist 666. Wenn der Gaskanister aufgefüllt ist, speit der selbstgebaute metallische Drache auf dem Dach des Kaffeehauses beim Eingeben des Codes Feuer. Ganz selten löst dies sogar eine Kettenreaktion aus und aktiviert eine programmierte Feuershow, wobei der Drache von den anderen Feuerinstallationen durch rhythmisch schiessende Flammenwerfer begleitet wird.
So viel Zeit muss sein: Raucherpause.
Und schon geht es weiter.
Raum für allerlei Begegnungen: Club-Toilette.
Ich bin mit zwei weiteren Personen auf der Toilette. Ich sitze auf dem Spülkasten. Mein Körper überragt die Kabine bis zu den Schultern. Links und Rechts von mir ragen andere Köpfe über die anderen Kabine. Wir sind eine Reihe Erdmännchen. Das eine Erdmännchen will eine Zigarette rauchen. Also schmeisst das andere Erdmännchen zwei Kabine rechts vom Ersten ihre Schachtel Zigaretten rüber. Das Erdmännchen links vom Ersten reicht ein Feuerzeug. Ich zünde mir eine an.
Dschhhhh oh oh oh grrrrrr: Techno.
wum wum wum wum wum wum wum dadadadadada wuuuuuuuuuum bass bum bum bum bum bum bum dschhhhh oh oh oh grrrrrr zzzzzz zzzzzzz zzzzz zzzz wap wap wap wap wap nz nz nz nz nz nz nz nz nz.
Angenehme Anstehpartnerin: Stefanie Gisinger.
Ich habe mich beim Anstehen am Kater Blau - einem Club in Berlin - eine Stunde lang mit Stefanie Giesinger (Germany’s Next Topmodel Gewinnerin 2014) unterhalten. Dies ist der stolzeste Moment meiner Clubgeschichte.
Wie ein kollektives Kunstprojekt: Clubatmosphäre.
In den frühesten Zeiten der Menschheitsgeschichte war Kunst etwas ausschliesslich Völkisches. Getanzt wurde ums Feuer, bemalt wurden Höhlen und keine Leinwände, gesungen wurde gemeinschaftlich. Heute stehen wir kritisch blickend und oft unberührt vor Gemälden in Galerien, sitzen in gepolsterten Theaterstühlen vor einem Guckkasten und klicken uns durch die internationale stimmliche Vielfalt, damit uns im Bus niemand anspricht. Die Kunst bewegte sich aus unserer Mitte hin zu auf ein Podest hinter einer Paywall. Die Antwort darauf klopft bereits an die Pforten. Immersion wird zum Zeitgeist der modernen Kunst.
Möglicherweise kann der Club genau dies sein: Eine Kunst des Volkes.
Ist der Club ein Ort der Kunst? Zweifelsohne ermöglicht das Tanzen in einer Masse von Menschen eine Erfahrung, welche künstlerische Werke erzeugen müssen. Den Moment der Selbstvergessenheit. Wir versinken für einen Augenblick und lösen uns dabei in der Masse auf. Immer wieder treffen wir in diesem Raum auf performative Darstellungen, visuelle Installationen und spielerische Elemente. Und das nicht vor, sondern zwischen uns. Möglicherweise kann der Club genau dies sein: Eine Kunst des Volkes.
Bester Ort für Gespräche: Club.
1 «Die Mukke ist so gut.»
2 «Was?»
1 «Die Musik ist toll!»
2 «Hä?»
1 «MUSIK, GUT.»
2 «Aha. Ja. Voll.»
1 «Cool.»
2 «Voll.»
Zeit für abschliessende Gedanken: Morgenstunde.
Jetzt, wo ich nur noch seltener, nur noch relativ nüchtern in Clubs gehe, wo der Zauber etwas verflogen ist, bleiben letztendlich dennoch schöne Fetzen, Erfahrungen und Ideen.
Nz brrrrrrrrrrrrrrrrrrr dum: Techno.
nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz nz brrrrrrrrrrrrrrrrrrr dum dum dum kz kz kz kz kz kz kz kz ba ba ba ba ba ba rums tmm tmm tmm tmm tmm nz nz nz nz nz nz nz nz.