Projekt Nachtleben
Wer sich nachts auf den Strassen Luzerns bewegt, wird unweigerlich mit der Polizei konfrontiert. Wir haben mit ihr über besoffene Jugendliche, aggressive Staatsgewalt und Racial Profiling gesprochen.
Anton Kuzema — 01/03/23, 03:52 PM
Blaulicht ist im Luzerner Nachtleben ein altbekanntes Phänomen. (Foto: Unsplash)
Eigentlich wollten wir eine Patrouille der Luzerner Polizei durch das Luzerner Nachtleben begleiten. Unsere Anfrage wurde abgelehnt. Jedoch wurde uns ein Gespräch mit Fabian Sidler angeboten. Er ist Leiter des Polizeipostens am Bahnhof. Das Interview hat in Begleitung vom polizeilichen Kommunikationschef Christian Bertschi stattgefunden.
Blaulicht und Sirenen sind im Ausgang oft anzutreffen. Was macht die Polizei eigentlich im Nachtleben?
Fabian Sidler: An einem Samstagabend erleben wir in Luzern alles Mögliche. Leute kommen mit den verschiedensten Geschichten zu uns. So kann es auch vorkommen, dass wir am Bahnhof plötzlich mit mietrechtlichen Problemen zu tun haben. Aber natürlich ist übermässiger oder sehr exzessiver Alkohol- und Drogenkonsum ein Dauerthema, was bestimmte Begleitvorfälle generiert.
Was bedeutet das konkret?
Begleitvorfälle können verschiedene Auseinandersetzungen sein: ein gesteigertes Aggressionspotenzial, Schubsen, Körperverletzung, Streitigkeiten im Generellen. Was uns vor allem auffällt, ist der wirklich exzessive Alkoholkonsum. Solchen stellen wir gerade bei jungen Leuten fest, die sich schon früh am Abend zudröhnen. Wir treffen immer wieder Leute an, die einfach rumliegen, weil sie so stark alkoholisiert sind.
Fabian Sidler leitet den Polizeiposten am Bahnhof Luzern. (Foto: zvg)
Haben Sie eine Veränderung in den letzten 10 Jahren wahrgenommen?
Das Ausgangsverhalten hat sich merklich verändert. Heute leben wir in einer 24-Stunden-Gesellschaft. Vor 10 Jahren war man vielleicht bis 4 Uhr im Ausgang. Heute sind die Leute bis 6 oder 7 Uhr unterwegs. Das Angebot wurde viel grösser. Auch Corona hat eine grosse Veränderung gebracht.
Inwiefern?
Vor der Pandemie hat das Nachtleben deutlich mehr in Clubs und Bars stattgefunden. Inzwischen hat sich dieses vermehrt in den öffentlichen Raum verlagert. Man trinkt den Alkohol nicht mehr in einer Bar, sondern kauft ihn am Bahnhof und geht dann in die Ufschötti.
Die Luzerner Ufschötti gilt besonders an Wochenenden als Hotspot für Auseinandersetzungen.
Der Druck auf den öffentlichen Raum ist also gestiegen. Wie vermeiden Sie Eskalation?
Präventive Präsenz ist ein sehr gutes Mittel, da wir vieles im Keim ersticken können und Probleme gar nicht erst zur Eskalation kommen lassen. Wenn es an einem Platz vermehrt Spannungen gab, passen wir unser Aufgebot für den nächsten Abend oder das nächste Wochenende entsprechend an. Präventive Präsenz heisst bei uns, Sichtbarkeit zu markieren. Man soll sehen: die Polizei ist in der Nähe. Sind wir vor Ort, passieren auch weniger Delikte. Pro Jahr leisten wir etwa 75’000 bis 100’000 präventive Präsenzstunden.
Doch es wird auch immer wieder Kritik laut, die Polizei provoziere solche Auseinandersetzungen. Ist die Polizei auch Aggressor?
Ich glaube nicht, dass die Polizei provokativ auftritt. Es ist nicht so, dass wir uns irgendwo hinstellen und versuchen, eine Eskalation zu provozieren. Die besten Tage sind für uns jene, an denen nichts passiert und alle glücklich sind.
«Es gibt sicher auch Leute, die sich provoziert fühlen, wenn jemand Uniformiertes kommt.»
Und dennoch gibt es einige Menschen, die nicht gut auf die Polizei zu sprechen sind. Wie erklären Sie sich das?
Was Sie ansprechen, sind die staatskritischen Leute. Es gibt auch Leute, die negative Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben, die man mal festnehmen musste. Handschellen am Rücken sind nicht gerade angenehm. Deshalb gibt es sicher auch Leute, die sich provoziert fühlen, wenn jemand Uniformiertes kommt.
Wie geht man als Polizist damit um?
Das ist schwierig. Wir haben den Auftrag, Gesetz durchzusetzen und für Recht und Ordnung zu sorgen. Wir sind das Gesicht des Staates und wenn jemand staatskritisch ist, ist das für uns auch nicht einfach. Die Leute kommen in der Regel nicht, um mit einem zu reden, sondern versuchen eher zu provozieren, damit die Polizei etwas macht. Aber damit lernt man mit der Zeit umzugehen. Zudem erleben wir sehr oft, dass das Handeln der Polizei nur auf den Moment basierend beurteilt wird.
Was meinen Sie damit?
Manche Leute sehen bei einem Polizeieinsatz nur einen kurzen Moment und stellen ihn dann trotzdem sofort in Frage, kritisieren und verurteilen ihn. Dabei weiss man gar nicht, was passiert ist. Dasselbe gilt für Videos. Bei Einsätzen sehen wir oft direkt viele Handys um uns herum.
Es ist nicht verboten, die Arbeit der Polizei zu dokumentieren.
An sich kann ja jeder filmen, wir haben ja nichts zu verbergen – aber es ist dennoch ein Stressfaktor, den die Situation nicht braucht. Auch für das Gegenüber, das dann merkt, aha, es laufen etliche Handys, dann muss man sich natürlich profilieren und aufbauschen. Grundlegend wünsche ich mir einen gegenseitigen Respekt.
Die Polizei steht weltweit immer wieder unter Rassismusverdacht. (Foto: Unsplash)
Die Polizei wird immer wieder mit Kritik bezüglich Gewalt und Racial Profiling konfrontiert. Was passiert mit dieser Kritik intern?
Ich denke, gerade, dass man Kritik äussern kann, ist ein Zeichen für einen funktionierenden Rechtsstaat. Das ist auch richtig so. Man muss Kritik anbringen können, wenn man das persönlich als richtig erachtet. Das ist jedem freigestellt. Einsätze werden natürlich generell bei egal welchem Szenario im Nachgang immer besprochen.
Aber was kann man denn tun, wenn man sich von der Polizei ungerecht behandelt fühlt?
Dafür haben wir ein Beschwerdemanagement. Kritik aus der Öffentlichkeit, die beispielsweise über die Medien kommuniziert wird, nehmen wir auf und thematisieren sie in den Aus- und Weiterbildungen.
Was bedeutet das in Bezug auf Racial Profiling?
Da analysieren wir, ob das etwas ist, das bei uns systematisch stattfindet und entsprechende Beschwerden gerechtfertigt sind. Die Resultate daraus laufen in die laufenden Instruktionen der Polizisten.
Wurde auch über den Tod von George Floyd gesprochen?
Auch über physische Gewalt wird gesprochen, gerade im Zusammenhang mit George Floyd. Wir fragen uns, ob das bei uns auch passieren könnte. Was haben wir für Festnahmetechniken? Die werden laufend geübt.
«Selbstverständlich läuft auch bei uns nicht immer alles rund.»
Vielleicht doch noch etwas Selbstkritik: Was läuft nicht gut bei der Polizei?
Selbstverständlich läuft auch bei uns nicht immer alles rund. Wie angesprochen spüren wir die Auswirkungen der 24-Stunden-Gesellschaft, es werden immer mehr gesellschaftliche Aufgaben auf die Polizei abgewälzt. Die Bevölkerungszahl und damit auch die Anzahl der polizeilichen Einsätze steigt, aber seit Jahren haben wir den gleichen Personalbestand. Diese Konstellation kann dazu führen, dass mehr Fehler passieren können.