Verpönte Küche
Blut löst oft Ekelgefühle auf. Dabei ist es eine vielseitige Flüssigkeit. Unser Gastroexperte Sylvan Müller hat mit einer Luzerner Jägerinnen und einer Köchin, bei der selbst in die Pancakes Blut fliesst, darüber geredet.
Sylvan Müller — 10/05/22, 10:27 AM
Blut kann in der Küche als Ei-Ersatz benutzt werden. (Fotos: Sylvan Müller)
Nach der Ruhe der Schuss. Isabel Rust sitzt schweigend neben ihrem Vater auf dem Hochsitz, angespannt beobachten beide den Waldrand und versuchen im schwindenden Licht des Vorsommerabends den Rehbock auszumachen, den sie erwarten.
Dann ist er plötzlich da. Vorsichtig tritt das Tier aus dem Wald und ins Schussfeld ihres Vaters. Ruhe. Ein Knall. Und wieder Ruhe. Danach noch der wilde Atem auf dem Weg zum Reh, das in der Wiese liegt. Gemeinsam tragen sie den erlegten Bock zum Jagdhaus, hängen ihn kopfüber an den Hinterläufen auf.
Der Vater drückt ihr das Jagdmesser in die Hand. Mit einem Schnitt vom Stich zur Kehle beginnt sie die rote Arbeit, konzentriert folgt sie der Anleitung ihres Vaters, entnimmt die Innereien, das warme Blut schiesst ihr über die Hände.
Isabel Rust ist eine der wenigen Jägerinnen im Kanton Luzern.
Das Blut. Es steht für das pulsierende Leben, für die Geburt, für den Tod und ist neben dem Herz der am stärksten symbolisch aufgeladene Teil des Organismus. Blutsbrüder verbinden sich zeremoniell mit der Vermischung von Blutstropfen. Blut definiert Verwandtschaftsverhältnisse; die Blutsverwandtschaft, das blaue Blut.
Bei frühzeitig Verstorbenen ging man in der Antike davon aus, dass deren Lebenskraft im frisch vergossenen Blut erhalten bliebe und Kranke sollen das Blut von Gladiatoren «wie aus lebenden Bechern» getrunken haben, wie Plinius der Ältere um 77 nach Christus aufzeichnete.
Noch bis ins 18. Jahrhundert sollen Epileptiker und Schwindsüchtige das Blut von Hingerichteten getrunken haben. Das weibliche Blut symbolisiert Fruchtbarkeit. Hildegard von Bingen empfahl Menstruationsblut gegen Gürtelrose.
Blutküche aus aller Welt
Das Blut von Tieren aber hatte für den Menschen neben den rituellen oder medizinischen Anwendungen auch immer eine wichtige kulinarische Bedeutung: Nicht nur in der Blutwurst wird das Schlachtblut verwendet, sondern auch im finnischen Blutpfannkuchen «Värilettuja», im steirischen Pendant, dem «Bluttommerl», im britischen Blutpudding, oder auch in der deutschen Blutsuppe «Schwarzsauer».
In China wird meist aus Entenblut Blut-Tofu hergestellt, im Tibet ist erstarrtes Yakblut ein traditionelles Lebensmittel. Zudem weisst Blut eine verblüffend ähnliche Proteinstrukur wie Ei auf und wird daher vor allem auch als Bindemittel in Saucen verwendet. Wie beispielsweise im Reh-, Gäms-, oder Hirschpfeffer.
Nur 60 Jägerinnen in Luzern
«Das komplette Verwerten des erlegten Tieres ist ein elementarer Anspruch bei der Jagd, somit auch das Verwenden des Blutes», sagt Jägerin Isabel Rust. Bald nachdem die damals 15-jährige das erste Mal unter Aufsicht ihres Vaters einen Tierkörper aufgeschnitten hatte, absolvierte sie die Jagdprüfung und ist heute neben rund 1400 Männern eine von 60 Jägerinnen im Kanton Luzern.
Das Blut des erlegten Tieres - in der Jagdsprache «Schweiss» genannt - wird aber vor allem auch zum Trainieren der sogenannten Schweisshunden verwendet, die verletzte Tiere aufspüren sollen. Wildblut im Wald aufzufangen sei jedoch schwierig. Nicht nur, weil es an geeigneten Gefässen fehlt. «Man hat immer eine Hand zu wenig», sagt Rust. «In der einen das Messer, die andere am Tier.» Darum würden Jäger und Köche heute meist Schweineblut vom Metzger zum Abbinden von Wildgerichten verwenden.
Blut in Kosmetik und Zigaretten
Bei der Schlachtung eines Schweines fallen bis zu 4,5 Liter Blut an. In Anbetracht der Menge der geschlachteten Tiere, verwundert es kaum, dass davon nur ein Bruchteil in den Küchen oder in der Lebensmittelindustrie verwendet wird. Der grösste Anteil vom anfallenden Blut wird heute als Schlachtabfall gehandelt oder verschwindet in Fischfutter, Kosmetikartikeln oder in Düngemitteln. Das Hämoglobin aus dem Schweinblut dient der Tabakindustrie als Bestandteil in Zigarettenfiltern.
«Sogar das Blut von verschiedenen Schweinerassen unterscheidet sich im Geschmack.»
Laura Schälchli, Köchin
In der Küche könnte das Blut der meisten Tieren verwendet werden. Und laut der Gastrounternehmerin Laura Schälchli schmeckt es je nach Tier auch komplett unterschiedlich. Sie verwendet meist das Blut vom Rind, der Kuh, vom Schwein oder von der Ziege. «Aber sogar das Blut von verschiedenen Schweinerassen unterscheidet sich im Geschmack. Meist entscheide ich mich aber auf Grund der Herkunft und der Frische für ein entsprechendes Blut.»
Frisches Blut halte im Kühlschrank etwa 5 Tage. Man könne es auch einfrieren, dann verändere sich aber der Geschmack ein wenig, er verliere an Intensität und die Farbe werde etwas dunkler, sagt Laura Schälchli.
Keine kulinarische Freakshow
Die Zürcherin veranstaltet regelmässig Koch- und Backkurse mit Blut. Schälchli versucht in ihren Veranstaltungen den Menschen die Ängste von vergessenen Nahrungsmitteln zu nehmen. «Aufgrund des Überangebots von Lebensmitteln können wir es uns leisten, kein Blut zu essen», sagt sie.
Zur kulinarischen Freakshow sollen diese Kochkurse nicht verkommen, eher versuche sie, die Menschen auf das wertvolle Nebenprodukt aufmerksam zu machen, dass in riesigen Mengen bei der Schlachtung eines Tieres anfalle. Blut besteht aus 80 Prozent Wasser und 18 Prozent Protein, das macht es als Lebensmittel so hochwertig.
Ersatz für die Eier
Ausserdem besitzt Blut neben den wertvollen Inhaltsstoffen erstaunliche Kocheigenschaften: Auf Grund des hohen Eiweissgehalt lässt sich Blut wunderbar schaumig schlagen und kann daher als kompletter Ei-Ersatz eingesetzt werden: 66 Gramm Blut ersetzen in etwa ein grosses Ei.
Schälchli backt Pancakes, Crêpes und Brownies mit Blut, aber auch Blut-Macarons und Blut-Meringues können statt mit Ei mit Blut gebacken werden. Neben der Konsistenz unterstützt das Blut mit seiner herb-würzigen, leicht süsslichen Note den Eigengeschmack vieler Gerichte. Der leicht metallische Nachgeschmack kann durch den Einsatz von Säuren, Fetten und Gewürzen bei Bedarf etwas gemildert werden. Bei Schälchli landet das Blut auch in den Spätzli oder im Risotto. Ihr Blut-Lieblingsgericht: blutige Miesmuscheln.
Frau jagt, Mann kocht
Isabel Rust geht oft mit Ihren Kindern in die Jagdhütte und zeigt ihnen die erlegten Tiere, die im Kühlraum hängen. Wie ihr Vater das mit ihr auch gemacht hat. «Ich versuche ihnen damit Respekt vor dem Tier zu lehren. Ihnen zu zeigen, dass für das Stück Fleisch auf ihrem Teller ein Tier sein Leben, sein Blut lassen musste.» Und dass das Fleisch der erlegten Tiere etwas ganz Besonderes sei. Zum Beispiel der Rehrücken als Weihnachtsessen im Kreis der Familie.
«Mein Vater ist Jäger und mein Grossvater war auch Jäger. Jedoch haben beide das Kochen des Wildes ihren Frauen überlassen. Bei uns kocht mein Mann das Rehfleisch, ich bin für die Zutaten zuständig», sagt Rust. Das sei schliesslich ihr Beruf: Durch den Wald pirschen, Beobachten, Erlegen, Aufbrechen, Beute machen.
Rezept von Werner Tobler (für etwa 12 Personen)
Zutaten
2 bis 4 kg Pfefferfleisch
Schulter vom Reh, Hirsch, Gams, Steinbock
Marinade
2 Flaschen Côte du Rhône
2 dl Aceto Balsamico
4 grosse Zwiebeln
4 Rüebli
1 kleiner Sellerie
5 Knoblauchzehen
2 Lorbeerblätter
2 Nelken
20 Pfefferkörner
2 EL Honig
Sauce
1 EL Tomatenpüree
aufgekochte und passierte Marinade
2 Flaschen Rotwein
1 Liter Wildfond
2 EL Wachholder Latwerge
1 EL Honig
1 Glas Wildpreiselbeeren von Schwartau oder selber gemacht
Salz, Pfeffermühle
50 g Butter
50 g braun geröstetes Mehl
100 g Blut
Garnitur
Speckstreifen
Champignonscheiben oder Viertel oder Waldpilze
Silberzwiebeln.
Apfelspalten und Trauben
Petersilie grob geschnitten
Brotwürfel oder Streifen in Butter knusprig gebraten
Zubereitung
Die Gemüse Schälen und in grobe Würfel schneiden (Mirepoix). Mit den restlichen Zutaten aufkochen. Über das Fleisch giessen und gekühlt 5 Tage marinieren (beizen) lassen. Das Fleisch aus der Marinade nehmen und gut trocken tupfen. Die Beize in einen Topf giessen und langsam unter Aufsicht aufkochen lassen. Durch das Aufkochen bindet das Fleischeiweiss alle Trübstoffe der Marinade, so ergibtt sich ein klarer Saft. Das Fleisch gut trocken tupfen und im heissen Fett gut anbraten. Das Tomatenpüree dazu geben und mitrösten. Mit dem Fond ablöschen. Das Ganze langsam zugedeckt weich „schmurgeln“ lassen. Das Fleisch aus der Sauce nehmen. Alles einkochen und mit der kalten Butter und dem Mehl (Beurre Manié) abbinden. Alles einköcheln lassen und durch ein Sieb passieren. Sauce mit dem Blut binden. Fleisch zur Sauce geben, gut abschmecken. Warm stellen, die Sauce darf nicht mehr kochen. Für die Garnitur alle Zutaten kurz in Butter anschwenken und auf den Pfeffer geben. Knusprige Brotwürfel runden das Gericht ab.
Frisches Blut vom Schwein gibt’s auf Bestellung beim Uelihof.
Laura Schälchli veranstaltet Koch- und Backkurse mit Blut. Informationen dazu sowie eine grossartige Rezepte-Sammlung mit Blutgerichten findest du hier.
Die Jazzkantine und Uelihof veranstalten am 15. und 16. November ein grosses Nose to Tail-Dinner mit allem vom Schwein. Im Dessert: Blut-Meringue, Blut-Sponge und Blut-Eiscreme. Reservationsanfragen: [email protected]
Sylvan Müller fotografiert, schreibt, macht Wein, backt Brot, importiert Austern und teilt seine Leidenschaft für grossartige Lebensmittel in der Jazzkantine Luzern. |