Prime Time
Nach monatelanger Verschieberei durfte «Morbius» nun endlich auf die Leinwand. Wir resümieren: das lange Warten hat ihn zur lauwarmen Vampirsauce gemacht.
Sarah Stutte — 04/03/22, 10:11 AM
Foto: Sony Pictures
Ein angesehener Wissenschaftler mit einer lähmenden Blutkrankheit experimentiert mit mordlustigen Fledermäusen. Das tut er, um durch deren Extrakt sein Leiden und das seines besten Freundes heilen zu können, der das gleiche Schicksal teilt. Doch das Experiment geht – natürlich – schief und lässt den Forscher teilweise vampirisch werden. Dies die Kurzzusammenfassung des Inhalts von Marvels neuester Bösewichten-Story «Morbius», der als Kontrahent von Spiderman erstmals in dessen Comics Anfang der 70er-Jahre auftaucht.
Dort war Dr. Michael Morbius – je nach Auslegung – einmal ein echter Vampir, den das Sonnenlicht schwächte, aber ansonsten mit Weihwasser und Holzpfählen nicht viel am Hut hatte. Oder aber eine Mischung aus Mensch und Vampir, der einzig seine speziellen Kräfte wie die Fähigkeit zu fliegen, ein verbessertes Gehör und extreme Schnelligkeit sowie Gegner ordentlich zu vermöbeln, schwinden sah, wenn sein Blutdurst nicht bald gestillt wurde. In der Vorlage saugt er – ob 100-Prozent-Vampir oder nicht – vor allem an Menschenhälsen.
Der Film wählt einen anderen Weg und legt sich bei Michael Morbius auf das Zwischending fest, damit die Jekyll-und-Hyde-Prämisse noch mehr zum Zug kommt. Um dies zu unterstreichen, entscheiden sich Regisseur Daniel Espinosa und die beiden Drehbuchautoren Matt Sazama und Burk Sharpless auch dafür, dass ihr Morbius nicht wahllos Passanten seine Reisszähne in die Haut rammt. Deshalb ernährt er sich vor allem von seinen selbst kreierten künstlichen Blutkonserven, die in seinem Labor immer vorrätig und in jedem Krankenwagen der Stadt leicht zu finden sind.
Das ist ein kluger Schachzug und kommt auch einigermassen nachvollziehbar daher. Jedenfalls mehr als die Frage, wie ein gebrechlicher Morbius die ganzen costa-ricanischen Fledermäuse, denen er sich am Anfang im Schwarm aussetzt, letztendlich in sein New Yorker Labor schafft. Oder warum sein bester Freund eigentlich so reich ist und die ganze Chose finanziert. Im Comic ist dieser ebenfalls Wissenschaftler – jedoch gesund – und das Geld für die Forschungen stammt aus dem Gewinn des Nobelpreises, den Dr. Michael Morbius hier nicht verschmäht.
Foto: Sony Pictures
Selbst die Hintergrundgeschichte in Griechenland, wo beide aufwuchsen und sich schon als Kinder anfreundeten, nimmt ursprünglich einen gewichtigen Teil ein, der dem Geschehen in der Folge mehr Tragik verleiht. Die Filmemacher entschieden sich aber auch hier für einen anderen, eher ausgetretenen Pfad, der nur Stereotype bedient. Genauso wenig glaubhaft wie die enge Freundschaft ist denn auch die klassische Love-Story, die in der Vorlage nur am Rande erwähnt wird und auch im Film getrost hätte weggelassen werden können.
Eine Zeit lang versucht Morbius, sich als Horrorfilm zu stilisieren, der gegen das Monster kämpft, das er selbst geschaffen hat und das in ihm lebt. So fantastisch seine neue Fledermaus-Physiologie auch sein mag, sie geht mit einem starken Hunger nach Blut einher, der oft wie eine Sucht wirkt. Dadurch wird Morbius klar, dass er durch seine Selbstversuche eine Krankheit gegen eine andere eingetauscht hat. Doch diese innere Zerrissenheit hätte man noch intensivieren können, statt sie einfach nur mit dem lapidaren Satz «Es ist ein Fluch» und einem wehleidigen Jared Leto-Gesicht abzuhandeln.
Action und Spezialeffekte bieten den einzigen Schauwert in dieser dünnen Vampir-Geschichte
Keine Frage, Morbius ist eine spannende Figur und hat sicherlich mehr zu bieten als seine Zusammenstösse mit Peter Parker. Deshalb hätte er auch eine eigene, in sich abgeschlossene Story verdient. Doch damit wusste man hier offenbar nicht so viel anzufangen und versuchte hilflos alles am Ende noch irgendwie in ein grösseres Filmuniversum reinzuwurschteln. Statt undurchsichtiger Charaktermotivationen wäre es vielleicht eine interessante Prämisse gewesen, wenn Pseudo-Vampir Morbius nebenbei als Superheld aktiv gewesen wäre. Doch man verliess sich lieber auf die Action und Spezialeffekte, die notgedrungen – neben einem Schiff, das Murnau heisst und auf «Nosferatu» verweist – den einzigen Schauwert bieten in dieser dünnen Vampir-Geschichte.