Ich finde dich auf Polarstar!
Die Webseite ist noch online. Polarstar heisst sie und sie dokumentierte das Partyleben unserer Jugend. Einmal aufgerufen jedoch gibt es kein Entrinnen mehr – von Schaumpartys, Schlamm und feuchten Küssen.
Jana Avanzini — 02/21/22, 08:41 AM
Kein Bild für das Bewerbungsdossier: Szene einer Schaumparty. Foto: Polarstar.ch
Vor Kurzem startete ich einmal mehr einen verzweifelten Versuch, die Untiefen meiner Hardware auszumisten und kämpfte mich durch digitale Foto-Alpen aus den frühen 2000er-Jahren, – da entdeckte ich auf einem Bild unten rechts den Schriftzug «www.Polarstar.ch». Und ein kurzes Schauern ging durch meinen Körper. Ich erinnerte mich.
Es war eine andere Zeit. Wir hatten keine Smartphones, keine Telefone mit Kamerafunktionen. Und es schleppte natürlich auch niemand eine Digitalkamera herum, wenn in Partykellern der Schweiss von den Wänden lief oder der Froschkönig im Schaum schwamm. Für alle, die nicht zu den Feierwütigen der Stadtluzerner Agglomeration gehörten: der Froschkönig war ein Club im Krienser Untergrund. Nicht zu verwechseln mit Underground.
Auf jeden Fall genau an solchen Orten war dann plötzlich eine Kamera, die Linse direkt auf dich gerichtet. Und dann musste es schnell gehen: Die Freundinnen wurden dichter ran-, der Bauch eingezogen. Die Hand auf die Hüfte gestützt und der Kopf in laszive Schräglage gebracht. Cheese.
Hässliche Seite der Kulturgeschichte
Polarstar.ch – ich rufe die Seite auf und bin erstmal erfreut, dann deprimiert: Sie ist online. Doch unter «Next Events» tut eine grosse Leere auf. Auf der Teamseite ist zwar noch eine Reihe an Fotograf*innen aufgeführt, die scheinen jedoch kaum noch aktiv zu sein. Denn die letzte Sause, an der Polarstar sich durch die saufenden Mengen quetschte, war der Mattliball in Sachseln im Februar 2015. In einer Art Gästebuch auf der Homepage, «Chatbox» schrieb Izedin im Jahr 2017 «Ja Ladina, es interessierid sich auch weniger für die siitä ☹».
Was man an Partys eben so macht, wenn man fotografiert wird. Foto: Polarstar.ch
Aber nicht doch, Izedin und Ladina! Das Interesse für diese Seite wird neu entflammen, bei allen, die Anfang 2000ern in Nid- und Obwalden die Jugend verbrachten, und die sich nur für einen Moment in die Untiefen dieser Highlights der Partyfotografie vertiefen. Ein Stück Kulturgeschichte. Kein besonders schöner Teil natürlich, aber genau das Hässliche daran, das Verstörende, die Party-Jugend im grellen Licht des Kamerablitzes zu sehen, hat seinen Reiz. Ohne Filter, ohne Nachbearbeitung haben diese Fotos die gleiche Unfall-Anziehungskraft wie der beinahe vergessene Tiefpunkt der Schweizer Fernsehgeschichte: «Jung, wild & sexy».
Alte Bekannte
Die erste Party auf der Liste, wenn man sich auf Polarstar ganz nach unten scrollt, ist die Santa Claus Party in Sarnen im Dezember 2002. Zur Einordnung: «All the Things She Said» der russischen Knutschkugeln t.A.T.u standen da auf Platz eins der Schweizer Singlecharts. Die Party jedoch interessiert mich nur gering, ein paar Zeilen weiter oben jedoch findet sich der Kollegi Fasnachtsball von 2003 – und da war ich. Ich klicke mich durch die Bilder und ich finde Bubu und Oki, Nili und Nessi. Da ist viel Kunstblut, da sind viele bekannte Gesichter. Meines jedoch find ich darunter nicht.
Keine Fete ohne Heu. Foto: Polarstar.ch
Ich öffne die nächste Party, ein Festival im Süesswinkel Buochs, da blickt eine gute Freundin lasziv in die Kamera. Rote Wangen, blauer Blick. Dann mein Kindergartenfreund mit seiner damaligen Freundin – ganz vergessen die damalige Eifersucht. Ich erkenne Leute wieder, an die ich seit fast 20 Jahren nie mehr gedacht hatte. Ehemalige Flirts, Freundinnen und Vorbilder, Leidensgenossen und Schicksalsschwestern. Nun hat es mich erwischt. Ich kann nicht mehr aufhören.
Ich spüre meine Füsse in den hohen Hacken schmerzen und bekomme unbändige Lust auf Wodka-Redbull.
Ich bleibe hängen, klicke und scrolle mich von einer Party zur nächsten. Von der Mallorca Beach Party, Hot Summer Party zur Pool Party im Recyclingcenter und natürlich von einem Oktoberfest zum anderen. Ich vergesse zu essen, zu trinken, halte den Harndrang zurück. Desto später es wird, desto mehr bilden sich verschwommene Collagen aus Gesichtern, die ich einmal kannte. Mit dünn gezupften Augenbrauen und tiefsitzenden Jeans.
Sie waren Teil meiner Welt damals, auch wenn ich ihre Namen nie kannte, ihre Clique vielleicht doof fand. Stunden verbringen ich vor dem Bildschirm. Weiter. Es wird spät, immer später. Rosenball 2003. Lakeside 2006. Herderen 2004. Es ist verstörend. Es ist eine Sucht. Ich beginne den Schweiss zu riechen, ich spüre den Beat. Ich spüre meine Füsse in den hohen Hacken schmerzen und bekomme unbändige Lust auf Wodka-Redbull. Ein Baccardi Breezer vielleicht oder einen Flying Hirsch.
Wasser und weisse Shirts
Ich stosse auf eine «Hasi Party» oder die bestimmt unvergessliche «Miss Arschgeweih». Wie konnte ich die bloss verpassen. Nicht an mir vorbeigegangen hingegen war das One Night Stand Festival am Buochserberg, wo plötzlich die jüngeren Generationen auftauchen. Beim Lakeside Festival finde ich alte Freunde einen nackten Hintern – zu dreckig, als dass man ihn hier zeigen dürfte. Ich sehe Knutschende, verschwitzte Haare und rote Gesichter.
Bikiniparty, Halloween und HellOWeed. Dann Spring Break 2004 im Buochser Recyclingcenter – ich erinnere mich daran – die Partys waren legendär. Ich klicke mich fröhlich durch die betrunkenen Lächeln, doch dann der Schreck: junge Frauen stehen auf einer Bühne. Sie tragen weisse T-Shirts. Und da sind Eimer. Mit Wasser. Es folgt eine ganze Reihe Bilder mit durchsichtigen Oberteilen. Meine Jugend, Lady Marmalade und Wet-T-Shirt-Contests, sehen im Scheinwerferlicht der woken Gegenwart plötzlich schrecklich traurig aus.
Oh je. Foto: Polarstar.ch
Barstreetfestival, Madwallstreet, und da sind all die Fasnachtseröffnungen. Mit «Chinesinnen», Engelchen, Teufelchen und schwarz bemalten Gesichtern mit Knochen im Haar. Mit einer Mischung aus Erregung und Angst klicke ich weiter. Auf der Suche nach mir. In der Hoffnung, mich nicht knutschend, schielend oder mit durchsichtigem Oberteil aufzufinden. Vorsorglich schäme ich mich ein wenig.