Im Rock auf Instagram
Johann ist 61 Jahre alt, trägt Röcke und hat nun Instagram für sich entdeckt. Damit will er die «modische Einfältigkeit» der Gesellschaft bekämpfen. Ein Tagesablauf.
Caroline Mohnke — 12/13/21, 08:37 AM
In Strumpfhosen und Sneakers: So zeigt sich Johann gerne auf Instagram. (Foto: zvg)
Mein Tag beginnt kurz nach 4 Uhr, auch wenn ich nicht zur Arbeit muss. Und das ist gewöhnlich montags. Als Erstes mache ich dann die Heizung an. In meinem frühmorgendlichen Kopfkarrussell dreht sich um diese Zeit schon fast alles um Mode.
Schon als Kind war das so. Im Kindergarten wusste ich, dass ich im falschen Körper geboren wurde. Damals schon träumte ich von einem Kleid mit feinen, bunten Strumpfhosen und Lackschuhen wie es die Mädchen in meinem Umfeld trugen.
Es blieb bei den Träumereien und einer dumpfen Traurigkeit, dass solche Wünsche nie in Erfüllung gehen werden. Wie habe ich die anderen Mädchen und meine älteren Schwestern darum beneidet um ihre Vielfalt bei der Kleiderwahl. Dicke Strumpfhosen waren mir nur im Winter vergönnt. Und es war mir wohl in den Beinkleidern. Ich freute mich über die flauschige Helanca und die Tafel Schokolade unter dem Tannenbaum. Heimlich borgte ich mir mal bei meiner nächstälteren Schwester etwas aus und obwohl mir die Sachen viel zu gross waren, fühlte ich mich wunderbar. Mit meinen fünf Schwestern und meinem Bruder erlebte ich eine glückliche Kindheit auf dem Land. An frostigen Tagen blühte ich auf, denn dann kam auch für mich die Strumpfhosenzeit.
Derzeit trage ich was mir gefällt und ich mich wohl fühle darin. Ich plädiere dafür die modische Einfältigkeit in der Gesellschaft abzuschaffen.
Ich will einfach zeigen, dass es für Mode keinerlei Einschränkungen gibt.
Diesen Frühling habe ich Instagram entdeckt. Es soll jetzt keiner meinen, mit meinen 61 Jahren sei ich bereits senil oder rückständig. Ich bin seit mehr als zwanzig Jahren online und habe schon manchen PC selbst gebaut. Die soziale Plattform ist ideal für mich, um meinen Modestil zu präsentieren und zu experimentieren. Das Shooten macht mir Freude. Immer montags mache ich Selfies an unterschiedlichen Plätzen. Ich erhoffe mir nichts davon, sondern ich will einfach zeigen, dass es für Mode keinerlei Einschränkungen gibt oder höchstens solche, die man sich selbst in den Weg stellt.
Meine Followerzahl wächst stetig auf Instagram. Ich habe meinen Stil gefunden. Am wohlsten fühle ich mich im Jeansmini und Sneakers oder Boots. Ballerinas stehen mir nicht. Ebenso wenig wie ein ganzes Kleid. Negative Kommentare bekomme ich wenige aber sie kommen vor. Solche stecke ich locker weg. Ich kann durchaus verstehen, wenn jemanden meine Outfits nicht gefallen, nur: Das ist sein Problem und nicht meines.
Johann verzichtet auch bei Kleidern auf tierische Produkte.
Montags ziehe ich auch meinen Suppentag durch. Sozusagen einen Fastentag. Suppe mit Brot. Dann bleibt die grosse Kocherei weg und ich habe mehr Zeit für das, was mich wirklich interessiert: Die Mode. Ich ernähre mich fast ohne Ausnahme vegan. Der Mensch besteht nicht nur aus Körper und Geist, sondern auch aus Seele: Und das tut allen dreien gut. Auch bei der Bekleidung geht es mir um das Tierwohl. Denn egal ob Wolle, Seide oder Leder: Es klebt meiner Meinung immer ein Stück Leid daran und das tut mir nicht gut und will ich nicht.
Für meine Shootings brauche ich nicht tausend Kleider und Röcke, ich komme mit wenig ganz gut zurecht. Ich liebe es immer wieder neue Kombinationen auszutüfteln. Die verschiedenfarbigen Strumpfhosen sind dann noch das Tüpfli auf dem i und geben jedem Look eine besondere Note. Shorts trage ich auch gerne. Was ich nicht mag und noch nie mochte sind lange Hosen.