Verpönte Küche
Wer kein Hirn isst, dem sollte das Recht auf Fleischkonsum entzogen werden, meint Sylvan Müller. Er macht sich in der Zentralschweiz auf die Suche nach verpönter Küche. Teil 5: Die Niere.
Sylvan Müller — 09/07/22, 12:03 PM
Auch Niere zu essen, zeuge von Respekt gegenüber dem Tier, sagt Lucas Rosenblatt. (Fotos: Sylvan Müller)
Lucas Rosenblatt sitzt vor seinem Computer in der ehemaligen Bäckerei Arnold in Meggen. Bürotag. Hinter ihm das Herzstück der alten Backstube, der grosse Brotbackofen mit der grünen Emaille-Front. In Betrieb ist nur noch eine Etage des antiken Ofens, die andern sind längst abgehängt. «Frisst leider viel zu viel Strom», meint Rosenblatt.
Seit 16 Jahren ist die Bäckerei die Wirkungsstätte des Kochs, hier empfangen er und seine Frau ihre Gäste. Ein paar Tische am Ofen, draussen unter der Laube noch ein paar mehr, das muss reichen. Gegen Ende der Woche öffnen sie ihre Türen und verwöhnen mit viel Leidenschaft ein paar Menschen, servieren ein Mittagessen, oder ein paar Gänge zum Znacht.
Vor Corona schmückte ein grosser langer Tisch den Raum, die Abstandsregeln verwandelten den langen Tisch in ein paar einzelne kleinere. Die werden nun wieder zusammengeschoben. Die Menschen sollen sich begegnen bei Rosenblatts.
Lucas Rosenblatt war einer der ersten TV-Köche der Schweiz. (Foto: Sylvan Müller)
Von der grossen Bühne hat sich der Koch schon länger verabschiedet. Zu gross wurde ihm der Trubel, zu weit weg waren die Gäste. Näher an die Menschen, nur noch mit Produkten arbeiten, die ihm am Herzen liegen, keine Kompromisse mehr eingehen, das wünschte er sich nach all den Jahren in der Spitzengastronomie.
1954 in Basel geboren, kochte sich Lucas Rosenblatt quer durch die Schweiz: Valbella, Genf, der Bürgenstock, Arosa, Grindelwald, Zermatt und Zürich waren seine Stationen, bis er schliesslich in Luzern landete und bei Marianne Kaltenbach als Küchenchef im Raben wirkte. Er war auch einer der ersten Schweizer Fernsehköche. In den neunziger Jahren kochte er an der Seite von Silvia von Ballmoos in der Kochsendung «Gsund und Guet» des Schweizer Fernsehen.
Überwundene Barrieren
Die Liebe fürs Didaktische ist ihm geblieben, Kochkurse, das Vermitteln seiner kulinarischen Obsessionen, sind immer noch ein wichtiger Teil seines Kochalltages. Er schlendert mit seinen Schülerinnen und Schülern über den Markt, lässt sie hemmungslos einkaufen, um danach in der Backstube gemeinsam aus der Beute ein Menü zu kreieren.
Dabei Ungewohntes, Verschmähtes zu vermitteln, ist ihm ein Anliegen. «Kulinarische Barrieren können nur über den Genuss überwunden werden», meint Rosenblatt. «Nicht jeder hat das Glück mit einer Grossmutter aufzuwachsen wie die meine, die gebacken hat wie eine Göttin oder mit einer Mutter, die so hervorragend kochen konnte, wie meine es tat. Oder einen Vater zu haben wie meiner, der mich und meine Geschwister in seine Lieblingskneipen im nahen Elsass schleppte und uns in die Geheimnisse der französischen Küche einweihte.»
Nur Männer im Kurs
So lernte Klein-Lucas ohne Vorbehalte zu geniessen, Blut- und Leberwürste gehörten bald zum Alltag, auch Kutteln und die Zunge mit Dörrbohnen wurde zu seiner Leibspeise. Das versucht er weiterzugeben. Ohne Vorbehalte zu probieren.
Seine Schüler versucht er zu Gerichten zu motivieren, die viele unter ihnen wahrscheinlich gar nie essen würden. Dazu verbirgt er das Verschmähte oft ein wenig, verarbeitet mit ihnen die Kutteln beispielsweise zu einer Bolognese, um sie von der Innerei zu überzeugen.
Einen kompletten Kurs widmet er ausschliesslich den Innereien. Alles wird verarbeitet vom Tier: Die Leber, die Milke, das Hirn, der Magen, die Zunge, die Lunge, das Herz, das Knochenmark, die Milz und die Niere. Dabei würden die Schüler (ja, bis anhin hätte er ausschliesslich männliche Teilnehmer am Innereien-Kochkurs begrüssen dürfen) oft zu den einen Innereien einen etwas leichteren Zugang finden als zu andern.
«Wir haben beispielsweise Kalbshirn pochiert an Beurre noire und Kapern serviert.»
Lucas Rosenblatt
Einfach sei es meist mit der Leber aber auch mit der Milke und dem Knochenmark. Schwieriger werde es mit dem Hirn, der Milz aber auch der Niere. «In den Vorlieben und Abneigungen meiner Gäste spiegelt sich aber auch exakt der Umgang der Gastronomie mit Innereien. Am beliebtesten ist die unnatürlichste Form der Innereien, die gestopfete Gänseleber, danach wird dem Gast nichts mehr zugemutet und Filet gebraten», beklagt sich Rosenblatt.
Dies sei nicht immer so gewesen und für das schwindende Interesse an Innereien der Spitzengastronomen hat Rosenblatt eine einfache Theorie: «Als in der Spitzengastronomie angefangen wurde, den Hotelgästen ein reichhaltiges Frühstücksbuffet aufzutischen, verschwand ganz langsam der klassische Lunch von der Karte. Und wichtiger Teil des klassischen Lunchs waren neben einer Suppe zum Einstieg eben die kleinen Innereien-Gerichte vor dem Käse und dem Dessert. Da haben wir beispielsweise Kalbshirn pochiert an Beurre noire und Kapern serviert, oder Kalbsleber-Schnitzel à la venesienne, Kalbsmilke à l’Orly, Nieren an Senfsauce mit Röschti, ein Innereien-Toast, eine Leberterrine oder auch mal ein Beuschel aus Herz, Lunge, Milz und Leber. So haben wir die Teile der Tiere verwertet, die im Abendmenü keinen Platz fanden.»
Respekt gegenüber dem Tier
Und je weniger Innereien in den Küchen verwertet würden, umso weniger würden junge Auszubildende die grundlegenden Techniken im Umgang mit den verschmähten Teilen der Tiere lernen. Lucas Rosenblatt bedauert das sehr.
Das sorgfältige Reinigen einer Niere und die Zubereitung des Organs im eigenen Fettmantel würde einem die Nähe zum verwerteten Tier besser vergegenwärtigen als das Braten einer Kotelette, meint er. Der Genuss von Innereien zeuge von Respekt gegenüber dem Tier, das sein Leben gelassen habe. Der Koch müsse diese Haltung vorleben und dem Gast etwas zutrauen.
Und darum freut sich Lucas Rosenblatt über jede kleine Irritation, die er bei seinen Gästen mit Innereien kreieren kann. Mit einer Kuttel-Bolognese. Oder mit den Elsässer Leberspätzle aus seiner Kindheit. Oder einer ganzen Niere im eigenen Fett gebraten.
2 Kalbsnieren im Fettmantel
1 TL gehackter Thymian
4 Abrieben von einer Bio-Zitrone
Fleur de Sel
Pfeffer aus der Mühle
Kalte Milch zum Einlegen
Schweinsnetz
Die Nieren sorgfältig vom Fettmantel trennen und dabei die Blutpartikel entfernen, entnerven, waschen und für ½ Stunde in Milch einlegen.
Den Fettmantel zwischen 2 Klarsichtfolie leicht plattieren-klopfen.
Die Niere aus der Milch nehmen, trocken reiben und mit den Gewürzen, Fleur de Sel, Kräuter und Zitronenschale würzen.
Auf den Fettmantel legen und einrollen. Mit einem Schweinsnetz einrollen.
Im heissen Öl in einer Bratpfanne rundherum anbraten im Ofen bei 180° 30-40 Minuten braten die Innentemperatur sollte 50° sein. Vor dem Servieren die Niere 10 Minuten bei ausgeschaltetem Ofen und offener Ofentür abstehen lassen.
Estragonjus
Sehnen von der Kalbsniere
1 Schalotte gehackt
30 ml weisser Portwein
30 ml trockner Weisswein
2 dl Bratenjus
4 Zweige gehackter Estragon
Die gewässerten Nieren-Parüren zusammen mit den Schalotten und Estragonstiele in Butter kurz anschwitzen. Mit Portwein und Weisswein ablöschen und die Flüssigkeit auf 2 EL reduzieren. Den Bratenjus beigeben und einkochen bis die Sauce bindet, durch ein Sieb siehen – passieren. Und den Estragon unter rühren.
Gewürz-Schalotten
12 gleichgrosse Schalotten geschält
2 dl Weisswein
Safranfäden
1 Lorbeerblatt
10 Koriandersamen zerstossen
10 weisse Pfefferkörner zerstossen
2 TL Honig
1 EL Sherryessig
Schalottten mit Weisswein, Gewürzen in eine Vaccumbeutel geben und 80% vakuumieren.
Im Wasserbad bei 85° 30 Minuten sousvide garen.
Ein Seib über eine Schüssel legen den Vakuumbeutel aufschnieden und die Schalotten in das Sieb leeren.
Den Honig leicht karamellisieren mit dem Sherry-Essig und dem Schalotten- Fond ablöschen, Schalotten beigeben und glacieren. Würzen mit Fleur de Sel und Pfeffer
Anrichten
Kalbsniere mit der Sauce nappieren, die Zwiebeln dazu anrichten.
Infos Niere vom Jungrind gibt’s auf Bestellung beim Uelihof. Uelihof.ch, 041 310 71 15 Lucas Rosenblatt empfängt Gäste und Kochschüler:innen in seiner Backstube in Meggen. lucasrosenblatt.ch, 041 310 77 91 Sylvan Müller fotografiert, schreibt, macht Wein, backt Brot, importiert Austern und teilt seine Leidenschaft für grossartige Lebensmittel in der Jazzkantine Luzern. |