Impftermine auf dem Land
Unsere Autorin besuchte Willisau, um sich impfen zu lassen. Dabei vermisste sie Schattenplätze, glaubte sich zwischenzeitlich am Meer und lernte etwas über vermeintlich russische Spirituosen. Ein Reisebericht nahe dem Delirium.
Nina Laky — 06/27/21, 01:03 PM
Nur der Dorfbrunnen bietet Abkühlung: Für Impftouristinnen ist die Fahrt aufs Land eine hitzige Angelegenheit. Foto: zvg
Es ist sehr heiss auf dem Weg zum Impfzentrum und nicht einmal im Park sind Bäume zu finden, die vor der gleissenden Sonne schützen. In der historischen Altstadt ist die Situation kaum besser. Lediglich die Storen der Läden spenden in Mini-Abschnitten kurz ein bisschen Schatten.
Willisau, 1101 noch unter dem Namen Willineshouwo bekannt, brannte viermal in seiner Geschichte ganz darnieder. Nun ist mir auch klar warum; die Sonne kann sich hier ungehindert auf Holzhäuser und Heu stürzen, aber halt auch auf Köpfe.
Schaff ich es überhaupt ohne Kollaps zur Impfung?
Körpertemperatur schnell steigend
20 Minuten Fussmarsch und Kopfweh später stehe ich vor dem Impfzentrum, wo ich von einer altbekannten Nachtleben-Angst aus Prä-Corona-Zeiten überfallen werde: Was, wenn ich nicht reinkomme? Schliesslich wird an der Tür rigoros Fieber gemessen und meine Körpertemperatur beträgt gefühlte 45 Grad. Wieso habe ich nicht den Bus genommen? Vielleicht, weil ich dann bei der Station Friedhof hätte aussteigen müssen und das war mir zu makaber. Dafür steht an einem Haus auf dem Weg «too old to die young», okay.
He Willisau! Anstatt nihilistische Sprüche zu klopfen, informiere dich doch lieber mal, wie sich andere Städte auf den Klimawandel vorbereiten, bitte. Fast wünschte ich, meine Impfreise hätte mich woanders hingeführt. Zum Beispiel nach Bern. Dort steht zurzeit ein neuartiger Strassenbelag im Einsatz, der bedeutend weniger heiss wird. Auch Heilbronn bei Stuttgart klingt verführerisch. In keiner deutschen Stadt gibt es mehr Bäume pro Einwohner*innen. Und wo Bäume stehen, ist Schatten nicht weit.
Vor dem Willisauer Rathaus springen fünf Kinder in den mittleren Dorfbrunnen (sehr seltenes Siebeneck), ein Verzweiflungsakt einer hoffnungslosen Generation.
Sehe ich Wellen?
Im Impfzentrum deliriere ich stark. Mein überhitztes Hirn schüttet plötzlich Feriengefühle aus. Der blaue Spannteppich sieht aus wie das Meer, in den Kabinen möchte ich mich umziehen. Der Frau, die mir Fragen stellt, zeige ich die ID und suche in der Tasche meinen Boarding-Pass. Wo ist mein Koffer?
An der Wand hängt passend zur stechenden Sonne ein Poster des Grand Canyons.
In der zweiten Kabine hat sich meine sehr freundliche Impferin aus dem Infoblatt einen Fächer gebastelt, sie hat die Zeichen der Zeit erkannt. An der Wand hängt passend zur stechenden Sonne ein Poster des Grand Canyons. Kühlt der Impfstoff jetzt mein Blut? Schnell, zum Wasserspender.
Schwelgend in der Ruhezone
In der Ruhezone gleich wie am Strand gibt es auch hier den einen Nachbarn, dessen lautes Endgerät nervt. Mein Arm tut langsam weh und schwillt an, hat mich eine Mücke gestochen? Ist das ein Zivi oder ein Bagnino? Hilfe.
Ich versuche mich 15 Minuten zu entspannen. Zur Ablenkung vertiefe ich mich in Willisaus wirtschaftlichen Glanzlichtern. Ich frage mich, wieso ich bis heute nicht wusste, dass der Trojka Vodka ein Willisauer Exportschlager ist. Der wird nicht etwa in St. Petersburg gebrannt, sondern hier, in der Distillerie DIWISA. Es gibt ihn auch mit Caramel-Geschmack. Ich möchte gerne eine Führung durch die Caramel-Vodka-Abteilung, aber nicht heute.
Ein Museum für Flaschen: In Willisau haben die Getränkebehälter kulturellen Wert. Foto: zvg
Gäbe es hier mehr Schatten, ginge ich anschliessend vielleicht noch ins hiesige Flaschen-Museum in der ehemaligen Käserei Käppelimatt. Dort steht eine 7,5 Meter hohe Flasche. Den «Fläsche-Sepp», der das Museum mit 40'000 Flaschen seit 40 Jahren führt, kennen hier alle und er verspricht «Langeweile ausgeschlossen!» Wirklich sehr gerne, aber besser im Winter.
Erlösung in die Ferne gerückt
Beim Check-Out bin ich wieder bei Sinnen und einigermassen abgekühlt. Ich bekomme ein Sticker in mein Heft für mein gutes Benehmen und stolziere davon. Nun nochmals kurz Eincremen, Sonnenhut auf und dann hurtig zum Bahnhof, in den BLS-Zug nach Hause. Was? Die Klimaanlage in den NINA-Zügen ist wegen fehlender Stromzufuhr defekt? Das nehm ich persönlich. Willisau, auch unser Abschied bleibt mir leider in eher schlechter Erinnerung. Wenn überhaupt.