Ein amoralischer Spass
Ein Symbol der Heiterkeit auf Abwegen: Das Lach-Emojis wird im Internet immer mehr zum Zeichen der Verachtung. Unsere Autorin hat diesen Wandel unter die Lupe genommen.
Jana Avanzini — 07/18/21, 10:58 AM
Eigentlich sieht es ja ganz nett aus.
Eine Erfindung, sie kann noch so gut gemeint sein, wird vom Menschen ins Böse verdreht. Hier eine nicht vollständige Auswahl: Religion, Plastik, Heroin, die sozialen Medien. Das Lach-Emoji.
Jeden Morgen das gleiche Spiel
Lachen ist ja bekanntlich gut für die Gesundheit. 300 Muskeln werden aktiviert, Endorphine produziert, die Ausschüttung des Stresshormons Adrenalin unterdrückt. Sogar das Immunsystem wird durch die Bildung von neuen Antikörpern angeregt. Doch es gibt neben dem fröhlichen und heiteren Lachen auch das höhnische. Und dieses begegnet mir gerade beinahe jeden Morgen, während ich durch die neusten Artikel-Teaser auf Facebook scrolle.
Eine Influencerin beschuldigt einen Rapper der Vergewaltigung – 😂😂😂😂😂
Startups am Gaza-Streifen stehen nach den jüngsten Luftangriffen vor dem Nichts – 😂😂😂😂
Menschen sterben an einer neuen Corona-Mutation – 😂😂😂😂😂😂
Geflüchtete ertrinken im Mittelmeer – 😂😂😂😂😂
Für jede erdenkliche Art trauriger Nachrichten aus der Welt gibt es einen Haufen Menschen, die sich darüber offenbar herzlich amüsieren. Oder bloss so tun, um andere zu provozieren und zu verletzen. Sie schleudern Menschen, die sie nicht kennen, weder deren Hintergründe noch Schicksale, digitales höhnisches Gelächter entgegen. Meist auch ohne den Artikel überhaupt gelesen zu haben.
Jedenfalls wird mir das fröhliche Emoji, das Smiley, wie man es in den frühen 2000er Jahren noch nannte, jeden Tag etwas mehr zur Fratze, die Joaquin Phoenixs Joker-Performance Konkurrenz machen könnte. Während es in privaten Nachrichten noch heiter dreinschaut, sich zwischendrin auf liebevolle Weise lustig macht, so ist es in den sozialen Medien nicht mehr mehr als ein menschenverachtendes Grinsen.
Gelächter der Hölle
Mit einem anderen Emoji die eigene Haltung zum Thema zeigen – das wäre zu einfach. Man würde offenbaren, dass das Thema beschäftigt, dass es aufregt, doch genau das Gegenteil ist das Ziel.
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Menschen, die unter Tragödien ihr digitales Gelächter setzen, wollen nicht nur ein Thema abwerten, sondern auch die Mitmenschen, die es ernst nehmen. Es ist ein zynisches Verhöhnen, ein klein- und lächerlich-machen anderer Menschen und deren Schmerz. Gemeinsam mit einem Dutzend oder gerne auch ein paar Hundert anderen. Denn geteilte Freude ist doppelte Freude. Das gilt natürlich auch für die Schadenfreude.
Und das Tolle dabei: Es fühlt sich so gut an! Denn genauso wie bei Likes wird bei Schadenfreude das Belohnungszentrum aktiviert. «Das Unglück anderer kann uns genauso erfreuen, wie ein Geschenk», so wird der Psychologe Manfred Holodynski gerne zitiert. Ist ja auch ein schönes Zitat. Genauso wie das von Schopenhauer zur Schadenfreude: «ein teuflisches Gefühl, ihr Hohn das Gelächter der Hölle».
Alles ganz natürlich
Grundsätzlich ist Schadenfreude ein vollkommen natürliches Gefühl des gemeinen Homo Sapiens, die «Freude des einfachen Volkes». Sie ist auch nicht per se böse – hat sie doch zwei Gesichter: Das heitere und kindliche vom 1. April – Neckereien um offene Schuhbändel und Hunderternoten an unsichtbaren Schnüren. Das andere Gesicht jedoch ist hässlich und verletzend. Es wertet sich auf über das Leid der Anderen.
Je mehr wir eine Person zuvor beneiden, desto grösser ist die Schadenfreude, fanden japanische Forscher heraus. Wenn dazu noch persönliche Antipathie im Spiel ist, wird das Unglück des anderen zusätzlich als verdienter wahrgenommen. Und damit ist die Schadenfreude besonders gross, wenn das «Opfer» uns unsympathisch ist.
Im Fazit müssten die Lach-Emoji-Postenden also eigentlich sich selbst besonders schadenfreudig ins Visier nehmen. Präsentieren sie sich doch als die grössten Unsympathen. Ausser, dass man wohl kaum auf sie neidisch zu sein braucht. Ausser vielleicht auf diese Empathielosigkeit, die einem das Leben bestimmt oft ganz schön einfach macht.
😂 Unnützes Wissen zum Thema 😂 |
Katagelastizismus ist die Freude daran, andere Menschen auszulachen. Katagelastizisten geniessen es übermässig, über andere Menschen zu lachen, und suchen gezielt nach solchen Situationen. |