Kunst im Utenberg
Wer die Installation «HÛS» besuchen will, sollte mutig sein. Denn sie ist eine unweigerliche Auseinandersetzung mit sich selbst. Unser Autor hat sich auf das Experiment eingelassen.
Anton Kuzema — 04/27/22, 09:43 PM
HÛS ist eine Installation, in der Menschen nur selten vorkommen. (Fotos: zvg)
ACHTUNG: Die Installation lebt von ihren Überraschungen. Im folgenden Text werden Gegebenheiten beschrieben, die zu einer veränderten Wahrnehmung der Installation führen können.
Es ist ein merkwürdiger Ort für eine Kunstinstallation. Sie findet in einem stillgelegten Hallenbad im abgelegenen Utenberg statt und verspricht mir eine Führung ins Unterbewusstsein, wo ich mit meinen eigenen Erfahrungen, Wünschen und Ängsten konfrontiert werden soll.
Das Besondere an der Installation ist zunächst einmal, dass man sie allein betritt. Auch vor dem Gebäude treffe ich nur eine andere Person. Und schon auf dem Weg hierher habe ich niemanden gesehen. Ich komme an und klopfe zu Beginn meines Zeitfensters an die Pforte, um reingelassen zu werden.
Ich betrete eine Wohnung und hänge meine Jacke im Foyer auf. Niemand ist da. Es ist nicht vollständig still, aber man spürt die Menschenleere zwischen dem Hinterlassenen. Als wäre jemand losgegangen und hätte alles stehen und liegen lassen. Aber nicht unbedingt in Eile.
Es ist unordentlich und privat. So wie ich mir eine durchschnittliche Wohnsituation vorstelle. Beim Umsehen möchte ich zunächst also nicht viel verändern. Schliesslich ist es nicht meine Wohnung und niemand ist da, um mich herumzuführen.
Doch so ruhig und statisch es ist, gibt es aus verschiedenen Richtungen leise Geräusche, die erahnen lassen, dass dort etwas passieren wird. Und auch, dass vorher etwas passiert ist. Herumliegende Bücher und Bilder finden sich etwas deplatziert zwischen den Überresten eines Mittagsessen. Ausgestellt und doch intim.
Intim, aber verlassen: Ein Raum der Installation.
Langsam zieht es mich in ein Labyrinth. Durch den Fernseher hindurch. Ich habe nun scheinbar das Unterbewusstsein betreten. Denn die Dinge um mich herum sind plötzlich nicht mehr geordnet. Nicht, dass die Wohnung ordentlich war. Aber sie hatte zumindest eine Anordnung, mit der man vertraut ist. Küche, Zimmer, Bad. Nun scheint alles willkürlich zu sein. Oder zumindest nicht rational eingeteilt.
Die Räumlichkeiten haben keinen linearen Zusammenhang, oder einen erkennbaren Sinn, den man von einem Gebäude erwartet. Etwa so, wie man sich das Unterbewusstsein vorstellen würde. Komplex, impulsiv und irreführend. Enge Gänge führen mich zu Türen die entweder keine sind, oder mich in eine komplett neue Umgebung werfen. Im Lüftungsschacht findet sich ein kleiner Park mit Wiese und als ich eine Treppe runter gehe bin ich im Dachstuhl. Türen müssen nicht viereckig sein.
Ich bin im Kopf von jemandem. Geographisch. Und hier drin ist vieles, was mal verdrängt wurde. Es liegen noch mehr Bücher, Bilder, kleine Notizen und gebastelte Figuren. Nichts im Kontrollraum funktioniert. Trotzdem steht da eine halbvolle Kaffeetasse, als würde dort manchmal jemand sitzen und sich damit beschäftigten auf die flackernden Bildschirme zu starren.
Ich fange an Dinge anzufassen und zu verändern. Denn die Objekte um mich herum scheinen das zu wollen. Manches reagiert auf mich oder offenbart mir Botschaften, die irgendjemand hier hinterlassen hat. Ich bin nun Teil der seelischen Triebe von diesem nicht klar definierten Organismus. Das Gebäude hat mich vollständig geschluckt.
Es gibt nur ein mehr. Mehr Räume, mehr Details, mehr Unerwartetes.
Meine Griffe an die Türklinken werden immer schneller. Ich werde süchtig nach diesem kurzen Moment in dem sich die Atmosphäre wieder vollständig wandelt. Aber auch, weil ich niemandem begegnen will, der oder die hier ebenfalls zu Gast ist. Ich will die Welt für mich alleine haben. Vermutlich könnte man ansonsten Stunden hier drin verbringen.
Die verworrene Detailversessenheit lässt alles riesig wirken, da ich das Gefühl habe, dass ich immer weiter in die Tiefe eines Organismus und dessen Psyche vordringe.
Obwohl es eigentlich kein weiter gibt. Schliesslich gibt es hier keinen linearen Zusammenhang. Es gibt nur ein mehr. Mehr Räume, mehr Details, mehr Unerwartetes. Trotzdem gehe ich nie zurück. Diese lästige Eigenschaft habe ich wohl von draussen mitgebracht. Ich gehe weiter bis auf der einzigen Tür, vor der ich seit der Ersten wieder länger stehen bleibe, «Exit» steht. Ich werde körperlich ausgespuckt. Gedanklich komme ich nicht hinterher.
«HÛS» kann noch bis am 26.6 besucht werden. Weitere Infos findest du hier.