Mann ärgere dich nicht
Die Vormachtstellung einer alten Garde gerät ins Bröckeln. Anstatt diese verbissen zu verteidigen, sollten sich die Betroffenen damit abfinden, dass die Welt nicht stillsteht.
Jana Avanzini — 08/09/21, 04:33 AM
Es gibt da echt gar nichts zu heulen. (Illustration: Line Rime)
Ich habe letzten Herbst ein Archiv ausgemistet. In einem Dienst am Lande wälzte ich regalweise Dokumentationen kultureller Anlässe. Und je staubiger die Ordner wurden, desto weniger tauchten Frauen darin auf. Immer öfters waren es Photographien gefüllt mit Herren in grauen Anzügen. Nein. Grauen Herren in Anzügen. Ja. Natürlich waren es grundsätzlich schwarz-weisse Photographien. Doch die Männer darauf – alle weiss, alle über 45 (oder sehen mindestens so aus). Alle sicher katholisch, Sexualität kein Thema. Eine dokumentierwürdige Welt abseits von dieser Spezies Mensch existierte nicht.
Und dann plötzlich ist der Begriff des alten, weissen Mannes aufgetaucht.
Bestimmt hat jetzt gerade irgendwo ein weisser, alter Mann vor lauter Ärger über diese Bezeichnung einen nervösen Schluckauf bekommen. Doch weshalb ärgern sich weisse, ältere Männer dermassen darüber, dass man sie nennt, was sie sind?
Der Grund: Alte weisse Männer waren die letzten paar Jahrhunderte das Mass aller Dinge. Sie waren «der Mensch». Sie machten Politik, sie schrieben Literatur. Frauen schrieben Frauenliteratur. «Die können ja auch nicht objektiv sein im Diskurs, sie sind vorbelastet, sind voreingenommen. Sie blicken aus Frauensicht auf ein Thema, aus Sicht einer schwarzen Person, aus Sicht einer jungen Person.» Nur der alte, weisse Mann nicht. Er hatte nicht die Sicht des alten weissen Mannes. Seine war stets objektiv.
Er war der Prototyp des Menschen und ist es so oft noch immer. Nach seinen Bedürfnissen wird die Welt eingerichtet (Regalhöhen, Zimmertemperaturen, Dummies bei Crashtests), Politik gemacht (Renten- und Lohnsystem), seine Symptome werden studiert und gelehrt (5x mehr Forschung zu Erektionsstörungen als zu PMS, Frauen-Herzinfarktsymptome gänzlich unbekannt).
Doch die Welt hat sich weitergedreht. Und manchmal streite ich mich deswegen auf den sozialen Medien mit Männern. Nicht nur älteren, wohlgemerkt.
Es gehe nur noch um Frauenthemen, wird da genölt. Gender Studies seien lächerlich und gegen die Ungleichheit müssten Frauen erstmal Militärdienst leisten. Zudem seien Männer häufiger Opfer von Gewalt.
Und jedesmal muss ich wieder betonen, dass ich durchaus weiss, dass auch Männer Probleme haben. Nur ist es etwas peinlich, wenn unter jedem Thema, das Frauen betrifft, ein Herr kommentiert, dass es auch Männern schlecht geht. Darum gings aber gerade nicht. Und für die Gewalt an Männern sind übrigens zu über 90% – raten Sie mal, werter Herr – exakt: Männer verantwortlich.
«Ich muss jetzt los. Arbeiten und noch etwas Männerhass unter den kleinen Mädchen verbreiten.»
Doch einfacher, als sich damit auseinanderzusetzten ist es natürlich, sich auf sogenannte «Frauenthemen» oder «Homothemen» zu stürzen, und sich künstlich darüber aufzuregen, dass die im 21. Jahrhundert auch mal Plattformen bekommen.
Natürlich sind alte, weisse Männer nicht per se böse. Das hat aber auch niemand gesagt. Doch wenn ich mich selbst als privilegierte, weisse, junge, hetero Cis-Frau bezeichnen kann, ohne dabei rot zu werden, dann sollte es doch nicht so tragisch sein, als alter, weisser Mann dasselbe zu tun.
Schliessen möchte ich diesen Text nun mit einem Kommentar, den ich gelegentlich verwende, um mich aus den Diskussionen in den sozialen Medien zu verabschieden: «Ich muss jetzt los. Arbeiten und noch etwas Männerhass unter den kleinen Mädchen verbreiten. Und den Jungs, denen mal ich die Nägel an. Und ich hab nicht mal Genderstudies studiert! Ach. Und den Militärdienst habe ich geleistet btw.»
Jana Avanzini wurde schon auf dem Schulhausplatz mit dem Spitznamen «Avanze» bedacht. Sie ist Co-Redaktionsleiterin bei Kultz, doch in dieser Kolumne lässt sie sich alle zwei Wochen über die alltäglichen K(r)ämpfe einer Feministin aus. Einer Feministin in der Zentralschweiz, wo man(n) sich noch gerne über aufmüpfige Frauen und Genderwahnsinn ärgert.