Müllmaa und die erste Fake-Platte
Müllmaa vereint verbalen Sondermüll mit defekten Melodien und recycelt das Ganze zu Songs.
Claude Hagen — 06/16/21, 07:48 AM
Manuel König alias Müllmaa mit seiner ersten Platte. (Bild: Claude Hagen)
Auf die Minute genau trifft Manuel König – auf der Bühne heisst er Müllmaa – beim Eichwäldli ein. Das orange Tenue fehlt, der Müll auch. Dafür bringt er eine Ukulele und eine äusserst sympathische Erscheinung mit.
Es geht weiter zur Hundewiese bei der Allmend. Dort sind einige seiner Songs entstanden. «Diese Wiese habe ich während dem Lockdown entdeckt. Mir gefällt die Weite sehr und es läuft immer etwas mit den Hunden», so der 33-Jährige.
Seit über fünf Jahren ist Manuel König als Müllmaa unterwegs. Er ist in Hergiswil aufgewachsen unt hat sich nach einer Zwischenstation in Horw vor rund acht Jahren in die Stadt Luzern vorgetastet. Hier wohnt er gemeinsam mit seiner Partnerin und arbeitet als Schulsozialarbeiter.
In der Pandemie – gezwungenermassen entschleunigt – hat er sich zur Produktion eines Albums durchgerungen und schliesslich mit Monaten Verspätung Ende Mai 2021 im Chäslager Stans seine erste Platte getauft. Die Nervosität war dem Musiker vor diesem ersten Auftritt seit über einem Jahr am Telefon deutlich anzuhören. «Selbstzweifel habe ich immer», sagt Müllma und fügt an: «Doch die Nervosität zeigt auch, wie wichtig es mir ist. Ich hoffe, dass ich nervös bleibe.»
Platte erst in fünf Monaten da
Die Plattentaufe selbst war jedoch eigentlich ein Schwindel. Denn das Album, welches ausschliesslich auf Vinyl und auf 100 Stück limitiert erhältlich sein wird, gibt’s erst in rund fünf Monaten.
Der Clou: Beide Abende der Plattentaufe wurden aufgenommen und bilden dann die eigentliche Platte. «Bei dem was ich mache geht es um die Interaktion mit dem Publikum und um das, was daraus entsteht. Die Idee kam mir vor rund einem Jahr beim Spazieren im Eigenthal.» Auf der Platte landen die von ihm persönlich kuratierten Songs der beiden Abende.
Es habe dementsprechend auch Fehler drauf. «Bei den Songs habe ich jene ausgewählt, die musikalisch vielleicht schlechter sind, aber mir beim Spielen eher in Erinnerung geblieben sind. Auf einem Track hat es noch das Feedback vom Tontechniker drauf», so Müllmaa.
König bei seiner Plattentaufe im Chäslager. (Bild: Markus Frömml)
Spielen bis die Platte kommt
Seit der Entstehung dieser Idee arbeitete er mit Unterstützung an der Gestaltung der Hülle. Diese ist schliesslich in Handarbeit mithilfe von Siebdruck entstanden. Damit die Besucher:innen der Plattentaufe nicht leer ausgingen, gab es bereits dort die Plattenhülle zu kaufen. Ein grosser, rostiger Metallpropeller und ein «Leiterlispiel» mit Stationen seines Lebens sind darauf abgebildet. Quasi als Überbrückung, bis die Platte da ist.
«Man wirft doch keine Musik weg, nur weil sie ein bisschen beschädigt ist.»
Die Platte werde nicht perfekt, sagt er ohne lange zu überlegen. Denn das ist es, was ihn als Musiker ausmache: «Es geht um den Moment, um das hier und jetzt mit denen Leuten, die da sind. Ich mache aus viel wenig – und aus wenig nichts. Deshalb lohnt es sich.»
Perfektionistische Eigenkompositionen sind nicht sein Ding. Manuel König setzt vielmehr auf Wiederverwertung: «Man wirft doch keine Musik weg, nur weil sie ein bisschen beschädigt ist.» Ein Satz, der selbstredend für das Projekt Müllmaa steht.
Sein Berufswunsch in jungen Jahren war erst Strahler, anschliessend Bergführer. «Das passt irgendwie immer noch: Ich suche im Alltagsgüsel den Diamanten und mache Musik daraus», sagt der 33-Jährige.
Überhörter Diebstahl
Inspiration für seine Song-Texte hat er häufig in Restaurants oder Cafés gesucht und gefunden. «Worte und Gesprächsfetzen von anderen Menschen begleiteten mich und stellten mir die Aufgabe, sie zu einem Lied zu recyclen. Ich nenne es Recycling, andere nennen es Diebstahl», sagt er lachend.
«Die Welt ist nicht einfach schwarz und weiss. Das spiegelt sich in meinen Texten wider. Ich möchte den Zuhörer:innen Raum für Eigenes lassen.» Allerdings gibt es auch Textpassagen, die auf den ersten Zeilen keinen Interpretationsraum lassen, um dann schliesslich doch noch in kryptische Botschaften zu übergehen:
Mänsch
Ich hasse jede –ismus, jedi Ideologie
Universal-theorie
Ziit, wos ned gid
Vergangeheit nu meh,
ich chamich nümme dra erinnere
und dä Momänt isch per se
scho verbii
...
Ich hasse Mänsche
und die mit z’chline Hünd nu meh
hamsterlos trurigi Auge vo Chind – ohne Glace
ich hasse Sälbstzwifel ohni Sälbst
und im Zwifel au mis Sälbst
…
Die Texte sind zwar das wichtigste Element seiner Musik, dennoch bilden erst Musik und Text ein Ganzes. «Sie bedingen sich und entstehen miteinander», betont der Musiker. Als Singer-Songwriter sehe er sich jedoch eher weniger, obwohl er bereits Auftritte unter diesem Genre absolvierte. «Der Begriff Singer-Songwriter hat für mich immer so etwas “Gutes”. Die haben ganz viel Talent und können viele verschiedene Songs spielen. Das kann ich nicht», so der 33-Jährige schmunzelnd mit der üblichen Portion Selbstkritik.
«Ich reduziere gerne. Das wirkt bei mir kreativitätsfördernd.»
Reduktion begleitet Manuel König in seinem künstlerischen Schaffen immer wieder. Nach dem Erlernen der akustischen Gitarre in jungen Jahren reduzierte er über den E-Bass auf vier Saiten und fand schliesslich den Weg zur Ukulele. «Ich hatte zuerst mal die Idee, alles mit vier Saiten zu spielen und wollte mir ein Cello kaufen.» Die Idee hatte er allerdings wieder verworfen und zählt nebst seinen Hauptinstrumenten, dem Mikrofon und der Ukulele, ebenfalls einen PEROL-Kanister, ein Portachord und eine Kofferorgel.
«Ich reduziere gerne. Das wirkt bei mir kreativitätsfördernd», sagt König, um sogleich anzufügen: «Und trotzdem hat es auf der Platte einen Song der heisst „Meh vo Allem“. Konsumieren ist manchmal auch geil. Da steck ich halt irgendwie dazwischen.»
P.S.: Wie seine Platte wurde übrigens auch Manuel König ordentlich getauft.